Dienstag, 25. März 2008

ostern

die chilenen sind ja sehr katholisch. noch katholischer sind allerdings die koreaner, die mit begriffen wie "church friend" um sich schmeißen, wer hätte das gedacht. als ich am samstag vor ostern nach hause ging, stand da an einer kreuzung eine frau mit einem schild (von dem ich allerdings nur die rückseite sah, also nicht sehr informativ) und vor ihr ein tisch mit einem kreuz und einer kerze. muss wohl jemand gestorben sein, dachte ich und schaute der frau ins gesicht. sah sie nicht verweint aus? ich verglich den aufwand kurz mit dem grablicht und den blumen, die es bei uns gibt, wenn jemand von einem auto niedergefahren ist. das war ja ein richtiger altar und die reinste totenwache!
ich ging weiter, und nach ein paar metern war da noch so ein tisch. erst dachte ich: wow! dann zweifelte ich an meiner autounfall-theorie. dann hatte ich noch so ein dejavu, und dann war die straße schwarz vor hunderten normalsterblichen und einem pfarrer, und alle beteten und sangen und ich kam kaum durch.
am abend wollte mich lucia zu einem besuch der ostermesse verführen, aber da war sie bei mir natürlich an der falschen. übrigens war ich schon einmal in einer messe, und zwar in la paz. kleine ministranten hüpfen durch die kirche, jeder kommt und geht, wann er will, und der pfarrer predigt von konsumverseuchten kindern, wer hätte das gedacht.
dann wechselte sie aus heiterem himmel das thema und fragte mich, ob ich glaube, dass prinz albert schwul sei.
ich sagte: nein, warum soll ich das glauben? er hat doch eine freundin.
lucia: das heißt gar nichts! viele männer sind verheiratet und schwul!
ich: ja, aber wie kommst du denn darauf, dass ausgerechnet der prinz albert schwul ist? (vielleicht sollte ich mal bild der frau lesen oder so.)
sie: weil er schon so alt und unverheiratet ist.
ich: aber du hast doch gerade gesagt, es gibt viele männer, die verheiratet sind und schwul, das ist doch kein grund...
ein gespräch wie eine möbiusschleife. ich glaube, sie findet mich extrem schräg und ich finde sie extrem schräg, und davon lebt die konversation. ein katzenmensch und ein hundemensch treffen aufeinander. ich hasse an hunden das unterwürfige, sie hasst an katzen das hinterfotzige. eigenschaften, die sich theoretisch gut kombinieren ließen. an hunden hasse ich außerdem, dass sie nachts um vier, wenn man sich gerade ins bett begeben will, beschließen, eine halbe stunde dem vollmond zu weihen. wenn der unmittelbare nachbarshund heult, hört sich das an, als ob gerade jemand verreckt.
gestern bin ich zum ersten mal am morgen von escuela militar, das ist die letzte ubahnstation von der stadt aus, heim gefahren, und dieses erlebnis hat mich in meiner entscheidung, doch hier zu bleiben, ziemlich beeinflusst. transantiago, das hiesige bus- und metro"system", ist eine katastrophe, man muss drei busse ziehen lassen, bevor man es schafft, sich in den vierten reinzuquetschen. wenn von außen zuschaut, wie sich die menschen in den bus quetschen, lacht man als anfänger noch, aber die santiaguiner haben längst schon gelernt, ihre ellbogen einzusetzen, und leute, die zu anderen uhrzeiten bestimmt gentlemänner sind, verwandeln sich in die größten rüpel. man braucht vom zentrum also mindestens eine stunde an die uni, und das unter umständen, die in anderen kontexten unter tierquälerei fallen. hier hingegen wohne ich so nah an der uni, dass ich das konzert höre, dass eben im innenhof der uni angefangen hat und mich daran erinnert, dass da heute irgendeine party steigt. ich meinerseits werde heute abend auf meinem bett liegend mit meinem heineken eine art fernstudium betreiben.
am ostersonntag (claudia hatte geburtstag) haben wir ein asado (barbecue) gemacht, das ist sowas typisch chilenisches. es gibt fleisch für drei tage und chilenischen salat (tomaten und zwiebeln) und kartoffelsalat ( eigentlich nur gekochte kartoffeln), und dazu piña colada und bier. bei meinem ersten asado im parque padre hurtado, wo es ist wie auf einem enormen openair, bei dem die musik aus den parkenden autos kommt und fünfzig meter lange schlangen vor dem eingang stehen, habe ich in praxis gelernt,was mir johannes paul nebst der politischen, geografischen und sozialen geschichte chiles erläuterte, nämlich dass man das bier hier literweise saufen kann und nicht betrunken wird, weil es nämlich so leicht ist, dass es manche leute den ganzen tag trinken. in diesem zusammenhang erfuhr ich die brutale story, dass lucia den elfjährigen betrunkenen johannes paul, der am vorabend von claudias freunden abgefüllt worden war, knallhart in die schule geschickt worden war (was lucia umgehend zu der an mich gerichtete frage führte, ob ich mich denn auch betrinke).
was noch für chile typisch ist, ist dass man sich zur begrüssung auf die luft an der linken wange küsst, zwar nicht immer, aber fast immer und jeden. manchmal kommt mir dieser brauch reichlich absurd vor, z.b. wenn ein übermütiger (und überdies zu spät kommender) student seine professorin zuerst mit einem kuss begrüßt und sie ihn nach der stunde fragt, wie er heisst. mich küssen auch andauernd leute, von denen ich nicht vorher gewusst habe, dass es sie gibt. am ostersonntag kamen zwei freundinnen von paula, küssten die ganze familie zur begrüßung, blieben zehn minuten, küssten die ganze familie zu abschied und gingen dann wieder! irgendwas passte da nicht, wahrscheinlich das zeitliche verhältnis begrüßung und aufenthalt.
die uni ist ziemlich hart. es gibt noten von 1-7, und ab einer vier ist man positiv, das heisst, es gibt drei negative noten. mit genügend und diversen nicht genügend wird dementsprechend sehr großzügig umgegangen. ich war zuerst in einem kurs, wo bei der ersten übung alle genügend und nicht genügend hatten, danach bin ich gegangen, das fand ich schon sehr übertrieben. als ich jetzt wieder ein zwei nicht genügen kassiert habe, nahm ich das schon ziemlich locker, weil meine nicht genügend im vergleich zu den anderen nicht genügend noch ziemlich gut waren. es ist schon seltsam hier. bei vielen in meinem kurs hab ich nicht wirklich das gefühl, dass sie wissen, was sie tun. wenn man zum beispiel ein bild und ein wort kombinieren soll, nehmen sie einfach ein bild und schreiben das wort klein in eine ecke. trotzdem sind die kurse inhaltlich auf einem extrem hohen niveau und sehr anspruchsvoll. das in kombination mit gestalterisch eher herausgeforderten studenten führt natürlich zu eher schlechteren noten. wofür man an der fh einen dreier kriegt, kriegt man hier schnell einen fünfer. der lerneffekt ist jedenfalls gewaltig und die notengebung zwar sehr streng, aber immer gerechtfertigt (abgesehen von dem ersten kurs). die ausbildung hier dürfte in jedem fall besser sein als die an der fh. das interessante ist, dass man weniger ( nicht wenig, weniger!) zu tun hat, aber mehr lernt, weil man sich intensiver mit etwas beschäftigt. wenn ich an text und zeichen teil eins denke, kommt es mir wirklich fast hoch ob der verschwendeten zeit. da lieber ein paar nicht genügend als so nen scheiß!

herzlichst, ihre frau tschaikner

Sonntag, 23. März 2008

nix gutes

Nicht aus dem Grund, dass mein heutiger Ausflug besonders spektakulär gewesen wäre, schreibe ich meinen dritten Kommetar, sondern weil mich gerade etwas wieder ziemlich aufregt.
Heute war ich mit Choi in Isla Negra, wo es außer einer wilden Küste, kleinen Kneipen, Kunsthandwerk und natürlich dem Haus von Pablo Neruda nicht viel gibt. Das Haus war wie ein Museum. Neruda hat Galionsfiguren gesammelt, ich weiß nicht, wer schon einmal welche gesehen hat, aber wenn man diesen hölzernen Frauenfiguren ins Gesicht schaut und sich dabei vorstellt, was die schon alles gesehen haben, ist das schon ziemlich krass.
In Isla Negra war es saukalt, und deswegen sind wir auch gleich nach Valparaíso, meiner Lieblingsstadt hier, gefahren. Der Plan war, ein Hostel zu suchen und dann fortzugehen, denn das kann man in Valparaíso, wie ich gehört habe, gut, und ich muss ja zu meiner Schande gestehen, dass ich zuletzt in Bolivien richtig fortgegangen bin. Ostern ist in Chile ja ziemlich wichtig, und deswegen unternimmt die ganze Familie etwas Schönes, weshalb es dann in Valparaíso nichts mehr gibt außer Luxusherbergen und arme Austauschstudentinnen dann wieder heimfahren.
Weil es schon kurz vor 10 war, als ich in den Bus nach Hause stieg, und ich wissen wollte, ob es stimmt, dass der letzte Bus um zehn fährt, fragte ich den Chauffeur. Er antwortete, der Bus fahre die ganze Nacht. Geil, denke ich, jetzt kann ich fortgehen, ohne mir Sorgen um meine Finanzen (Taxi) zu machen. Ist es nicht schön, wenn man so frei ist?
Als ich daheim Lucia nach einigen schrägen Diskussionen z.B. über homosexuelle alte Römer und die Bedeutung der Epiphanie dann erzähle, dass ich unbedingt mal Nachts auf den Cerro San Cristóbal will, um Santiago von oben zu sehen, sagt sie, ich bin verrückt, und dann erzählt sie mir, dass vorgestern Paulas Freundin, grad wie sie aus dem Bus ausstieg, von vier Männern in ein Auto gezerrt und vergewaltigt wurde, und Paula weint den ganzen Tag und mir wurde fast schlecht.
Ich hatte mich heute früh noch gewundert, wie es zusammenpasst, dass Paula einerseits im ganzen Haus mit ihrem Freund Santiago herumknutscht und andererseits noch ihrer Mutter am Hals hängt wie ein kleines Kind und bei ihr im Bett schläft, aber jetzt wundert mich das irgendwie nicht mehr.
Es kotzt mich an, dass man nicht unbeschwert in der Nacht herumspazieren kann, nur weil ein paar so primitive Schwänze absolut keinen Respekt vor Frauen haben, was hier offensichtlich häufiger der Fall ist und schon damit beginnt, dass in gewissen Gegenden viele von ihnen Frauen gerne hinterherpfeifen oder blödes Zeug hinterherrufen (man kennt das eh). Ich jedenfalls bin dabei, meinen Wortschatz entsprechend zu erweitern. Man darf sich das nicht gefallen lassen, sonst hört das ja in hundert Jahren nicht auf (was ich ohnehin bezweifle). Alles Affen!
Zum Glück ist ja nicht die ganze Männerwelt mit diesen hehren Wesenszügen ausgestattet, und man kann und soll natürlich trotzdem in der Nacht herumspazieren, aber wenn etwas in der Art in meinem Umfeld passiert ( und es passiert leider oft genug), berührt mich das schon nicht wenig, und wohler fühlt man sich dann auch nicht gerade, wenn man Nachts unterwegs ist. Also, an die Mädels da draußen: Passt gut auf euch auf!

Donnerstag, 20. März 2008

heute kann ich also sagen: ich bin genau seit einem monat in südamerika. andererseits kann ich nicht sagen, dass es südamerika ist, wo ich mich seit einem monat befinde. häuser, hunde, rasensprenger, um las condes auf den punkt zu bringen. jede familie, die etwas auf sich hält, hat eine haushälterin (üblicherweise ist deren hautfarbe ein paar nuancen dunkler als die der herrschaften). da wir quasi eine halb zerrissene, halb verwitwete familie sind, haben wir "nur" eine putzfrau (und einen gärtner, natürlich). die putzfrau, la flor (die blume) verdient keine zwanzig euro für acht stunden arbeit und muss jeden tag arbeiten, weil sie vier kinder durchbringen muss. sogenannte nanas, also erzieherinnen im weitesten sinne, und die, die im bus die fahrkarten kontrollieren und decken verteilen, verdienen etwa dreihundert euro im monat. dreihundert euro beträgt auch ungefähr die monatliche studiengebühr an meiner uni. 
vor ein paar tagen habe ich mich außerdem aus welchen gründen auch immer ins "ghetto" verirrt, und siehe da, das andere ende des farbverlaufs: europa und die ganzen blauäugigen waren verschwunden, und ich fiel dermaßen auf, dass mich sogar der busfahrer fragte, wohin ich denn wolle. 
um das gefühl, irgendwo im nirgendwo zu sein, loszuwerden, habe ich begonnen, rauszufahren. letztes wochenende war ich mit jasmin, einer deutschen mit iranischen eltern, und choi, einer koreanerin, in valparaiso und viña del mar. die chilenen lieben ja ausländer (mit ausnahme der peruaner und der bolivianer) , viele von ihnen, auch die reichen, sind noch nie aus chile rausgekommen und sind sehr, sehr neugierig, vor allem, wenn so ein lustiges trio auftaucht.
valparaiso ist die stadt mit den aufzügen. in motorcycle diaries sieht man den gael garcia bernal in so einem aufzug fahren, eine sehr schöne szene. (lucia mir übrigens gestanden, dass sie che guevara sehr hübsch findet, während jasmins familie sich hingegen als pinochet-anhänger geoutet hat.) die aufzüge sind uralt, der jüngste achtzig jahre, und wenn man mit ihnen durch die bruchbuden valparaisos fährt, hat man das gefühl, dass man sich in einer zeitmaschine befindet. weil ja sonntag ostern ist, wurden überall auf der straße geflochtene taschen mit olivenzweigen und rosmarin verkauft. die wissen eben noch, wie man seinen glauben zelebriert! außerdem haben wir la sebastiana, ein (ganz wunderbares) haus von pablo neruda, besucht, was mich gleich zu meinem nächsten ausflug führt. morgen fahre ich mit choi nach isla negra, wo ein weiteres haus von pablo neruda steht, und dann vielleicht nach san antonio, wo es seelöwen gibt und wo man dann vielleicht das chile zu spüren bekommt, das isabel allende in aphrodite schildert. meeresfrüchte darf man zwar nicht essen, wie lucia mir erzählt, nachdem ich am vorabend ein empanada mit meeresfrüchten gegessen habe, denn die haben grad irgendeine krankheit, und die macht blöd, wenn ich das richtig verstanden habe, aber es gibt dort einen tollen fischmarkt mit fischern, die angeblich knietief in fischhaufen stehen.
eigentlich bin ich aus bürokratischen gründen derzeit lichtjahre im minus, aber ich sehe nicht ein, wieso ich deshalb auf kleine ausflüge wie diese verzichten soll. ich habe freitag immer frei, das ist sehr gut, abgesehen davon, dass man immer mit hausaufgaben eingedeckt wird. 
ein fach, genannt taller grafico, ist zweimal die woche und ziemlich hart, dafür ist der rest ziemlich easy, abgesehen davon, dass ich in fotografie einen text auf spanisch lesen muss, der vom sprachlichen niveau her an "die helle kammer" grenzt. mein lieblingsfach ist aktzeichnen, das hätte ich am liebsten jeden tag, und der lehrer ist wirklich toll. nächste woche besuchen wir die körperwelten-ausstellung.
dann gibt es noch marketing, ein fach, dass ich eigentlich doch nicht machen muss, weil ich mir eine prüfung aus einem anderen leben anrechnen lassen kann, aber es fordert mich heraus. am ersten tag hab ich nämlich kein wort verstanden, und das fach ist sozusagen meine messlatte für meine spanischkenntnisse.  
ansonsten erfährt man auch viel über andere länder, zum beispiel, dass in korea leute t-shirts tragen, auf denen "rape me" und " asshole" steht und das dann den koreanerinnen, die englisch können, in den augen weh tut, aber die darauf hingewiesenen dann das t-shirt trotzdem nicht ausziehen wollen, weil es ja so viel gekostet hat. außerdem küssen sich die koreaner nicht in der öffentlichkeit, und wenn, dann auch nur den boyfriend. die deutsche erklärung auf das koreanische kopfschütteln hin war dann: bei uns (und in chile) küsst man jemanden, wenn man betrunken ist und ihn mag. -pause. nachsatz: man küsst auch jemanden, wenn man betrunken ist und ihn nicht mag. es stimmt ja eh, aber wie hört sich das an?
apropos küssen: theoretisch wollen zwar alle austauschstudentinnen einen chilenischen boyfriend, u.a. um spanisch zu lernen, praktisch aber finden sie, je nach veranlangung, deren frisuren entweder zum lachen oder zum weinen. in chile trägt die männerwelt nämlich derzeit gerne einen vokuhila, und die ganz mutigen tragen hinten rastas bis zum arsch, werden von den deutschen dann "schaf" genannt und können es nicht verstehen. einzigartig auf der welt, wie so vieles hier.

in diesem sinne,
grüß gott nach vorarlberg und den rest der welt
bianca

Donnerstag, 6. März 2008

nachdem mich in letzter zeit einige nachrichten ereilten, nach denen ich bereits tot gewaehnt wurde, dachte ich, es wird nun wirklich zeit, mein leben hier zu digitalisieren: nicht dass hier noch falsche eindruecke entstehen! in letzter zeit war ich vollbeschaeftigt mit einer reise (7000 kilometern in 10 tagen) durch nordchile, bolivien und peru, von der ich nach dreissig stunden busfahrt sehr puenktlich fuenf stunden vor unibeginn angekommen bin. ein reisebericht wuerde jetzt aber den rahmen dieses blogs sprengen. jedenfalls war es eine sehr lehrreiche reise voller einblicke in die seelen minderjaehriger peruanischer geschaeftsmaenner, maskierter bolivianischer schuhputzer (ueber die ich eine kleine fotoserie gemacht habe), inkaruinen und sonneninseln auf dem titicacasee sowie einigen einblicken, die mir lieber erspart geblieben waeren, zum beispiel die bolivianischer toiletten, in denen spuelung und wasserhahn grundsaetzlich attrappen sind und man das klopapier (das selbstverstaendlich selbst mitgebracht werden muss) nicht ins klo schmeissen darf. manchen recht unkomplizierten eingeborenen geht dann der ganze kram mit gefaktem wasserhahn und so sowieso am arsch vorbei, und sie benutzen gleich die groesste offentliche toilette, den gehsteig.
ja, wenn man dann von so einem ort nach las condes kommt, braucht man schon eine weile, um sich zu assimilieren. ich glaubte ja, ich wuerde in einem haus mit ein paar studenten leben, in einer schoenen grossstadt namens santiago vielleicht. wenn man von meiner uni auf die anden klettern moechte, braucht man vielleicht eine stunde. ums eck wohne dann ich, und zwar in einer gegend mit palmengesaeumten strassen, haeusern mit mindestens zwei alarmanlagen (einer biologischen und einer elektronischen) und einem pool, versteht sich von selbst. so, nun wohne ich also im nobelviertel von santiago und besuche eine scheissteure universitaet (die aussieht wie ein freibad ) mit eigenem fitnesscenter und 1000 sicherheitsmenschen und putzkolonnen und was weiss ich. ich wohne also da in einem haus mit mindestens drei badezimmern und einem sehr kolonialen salon im exzimmer von johannes paul, der, wie señora lucia, meine gastgeberin, gesagt hat, abgehauen ist wie alle maenner, mit señora lucia und ihrer tocher (der entweder der mann abgehauen ist oder sie ihm, man weiss es ja nicht) und deren tochter. in der nacht, wenn sich die hunde beruhigt haben, ist es totenstill. der letzte bus nach las condes faehrt um 10. meine freundin geraldine meint, in las condes gaebe es ohnehin discotecas (ich hoffe, sie meint damit etwas anderes als ich), und sie behauptet, wenn man im zentrum fortgeht, klaut man einem die handtasche. ich hingegen habe den verdacht, dass die wirklich guten laeden im zentrum sind. jedenfalls weiss ich nicht, ob ich mein lebtag in las condes bleibe. mal schauen.
die universidad del desarrollo ist mindestens so haesslich wie der neubau der fh, aber der freibadcharme passt noch recht gut zu den kahlen, sandigen anden nebenan und der herbstlichen hitze. es gibt hier ungefaehr zehn computerraeume, auch jede menge imacs (mit cs2). an einem von diesen sitze ich jetzt, weil man johannes paul gestern von angeblich kompetenter stelle gesagt hat, dass man an ein ibook kein internet mit usb anschliessen kann, sondern nur mit firewire. hat man sowas schon gehoert?
señora lucia ist eine kleine weisshaarige frau, die ca. zwanzig sprachen spricht und der einzige erwachsene mensch ist, den ich kenne, der schuhgroesse 33 hat. ausserdem haelt sie mich fuer juenger, als ich bin, und nennt mich immer "meine kleine", obwohl ich mindestens zwei koepfe groesser bin als sie. sehr komisch an mir findet sie: ich fruehstucke nicht, ich trinke keine milch und ich schaue nicht fern (letzthin hat sie mir sogar unterstellt, dass ich ihren swimmingpool nicht mag). ich habe gesagt, ich lese lieber, zum beispiel die hundert jahre alten buecher, die mir johannes pauls grossvater hinterlassen hat, arthur rimbaud auf spanisch und barocke kubanische poeten und was weiss ich was noch fuer schaetze, ich hatte ja noch keine zeit, mir alles genau anzusehen! vom fernsehzimmer aus gibt es nachts einen grandiosen ausblick hinunter auf santiago, umrahmt von ein paar dunklen ungetuemen, das sind die anden, aber señora lucia behauptet, dass eines von diesen dingern der zuckerhut ist. ausserdem finde ich es sehr verdaechtig, dass sie davon ausgegeht, dass jemand, der pinochet nicht mag, automatisch ein sozialist ist, aber dazu moechte ich lieber nicht mehr wissen. eigentlich wollte ich johannes paul in der letzten metrostation escuela militar ( von der aus ich noch eine viertelstunde mit dem bus fahren muss, um in mein domizil in las condes zu kommen) treffen, aber als ich sah, dass die ziemlich gross war, wusste ich, dass wir uns heute nicht mehr begegnen wuerden, und machte mich nach einer halben stunde auf nach las condes, um mein haus zu suchen, wo ich schliesslich señora lucia begegnete, die mich auf deutsch mit den worten begruesste: du lebst?
als ich sie und alles sah, dachte ich sofort: hier kann man einen roman schreiben. ich war noch keine viertelstunde da, da schleppte sie mich sofort in einen supermarkt, um essen zu kaufen. ich nenne sie meine chilenische oma, sie hingegen nennt sich meine chilenische mama, man kann es halten, wie man will. immerhin hat sie mir erlaubt, dass ich "some handsome men" mitbringen darf, was ja auch nicht das schlechteste ist. die supermaerkte sind ziemlich krass. am eingang stehen sicherheitsmaenner, die einem die plastiktaschen zukleben, damit man nichts klaut. obst und gemuese wird von einer mitarbeiterin gewogen. die kassiere und kassierinnen sind so langsam, die wuerde man sogar im saegercenter auf der stelle feuern, aber hier gehts allgemein ein bisschen gemuetlicher zu. an der kasse steht ausserdem in der regel ein demotivierter mensch, aehnlich wie im meinl am graben, der einem den einkauf einpackt, und zwar allerhoechstens drei artikel pro plastiksack, in der regel aber zwei. am ende hat man dann einen haufen weisser saecke (in denen wiederum plastiksaecke mit sachen drin befinden) im einkaufswagen, das sieht aus, als haette man muell gekauft, was gar nicht mal so falsch ist. ich komme mit zwei aus, wo andere mindestens zehn benoetigen. umweltschutz kennen die nicht, und señora lucia hat gestern abend ihrer tochter sehr amuesiert erzaehlt, dass man in oesterreich nicht nur eine sorte muell kennt. du musst dich anpassen, hat sie zu mir gemeint, ja das wird sicher schwierig. chile ist eine dreckschleuder.
dass man einmal spurlos verschwindet, muss man hier auch nicht befuerchten. man wird stets registriert und aufgeschrieben. keine chance auf eine busfahrt, auch im inland, ohne pass. vor der fahrt und waehrend der fahrt muss man seine passnummer angeben, plus beruf und alter und beweggruenden und sonstigen daten. in peru ging einmal vor der abfahrt ein kerl mit einer kamera durch den bus und filmte alle insassen, zur sicherheit, wie er meinte, aber das ist eine andere geschichte. ohne pass muss man auch gar nicht versuchen, mit kreditkarte zu zahlen, und wenn man eine kundenkarte macht, braucht man auch seine passnummer. apropos kreditkarte: die t-shirts, die manche chilenischen maenner tragen, sind phaenomenal. mein derzeitiger favorit ist: wie geht es deiner frau und meinen kindern? dann gibt es noch: ich weiss, die kreditkarte war nur fuer notfaelle, aber sie war so heiss. und: pfeil nach oben, der mann, pfeil nach unten, die legende, gesehen in arica, getragen von einem midlifecrisisfaelligen herrn mit bierbauch und gattin an der rechten. und das sind noch die harmloseren!
meine kurse: aktzeichnen, packaging und fotografie. marketing werde ich wohl durch eine tlv an der fh ersetzen. dass ich aufsaetze auf spanisch schreibe, kann man von mir ja nicht verlangen. es ist nur etwas traurig, dass anscheinend nur maedchen (ausserdem sind wir fuenfzehn austauschstudentinnen und nur ein -student, und fast alle studieren literatur) grafikdesign studieren, aber dafuer sind sie alle sehr nett und hilfsbereit und offen und wollen alles wissen. die meistgestellte frage: why chile?
ja, langsam verstehe ich auch die chilenen, die ueberhaupt kein normales spanisch sprechen und grundsaetzlich dazu neigen, die schoenen konsonanten zu verschlucken. wie ich hier angekommen bin, habe ich mich gefuehlt, als wuerde ich gegen eine wand rennen, oder als koennte ich schreiben, aber nicht lesen. ich habe keine wort verstanden. jetzt geht es besser, auch wenn von ich von zeit zu zeit immer noch hilflos vor subjekten mit besonders scheusslicher aussprache stehe, aber das wird schon werden.

saludos de chile,
bianca