Donnerstag, 6. März 2008

nachdem mich in letzter zeit einige nachrichten ereilten, nach denen ich bereits tot gewaehnt wurde, dachte ich, es wird nun wirklich zeit, mein leben hier zu digitalisieren: nicht dass hier noch falsche eindruecke entstehen! in letzter zeit war ich vollbeschaeftigt mit einer reise (7000 kilometern in 10 tagen) durch nordchile, bolivien und peru, von der ich nach dreissig stunden busfahrt sehr puenktlich fuenf stunden vor unibeginn angekommen bin. ein reisebericht wuerde jetzt aber den rahmen dieses blogs sprengen. jedenfalls war es eine sehr lehrreiche reise voller einblicke in die seelen minderjaehriger peruanischer geschaeftsmaenner, maskierter bolivianischer schuhputzer (ueber die ich eine kleine fotoserie gemacht habe), inkaruinen und sonneninseln auf dem titicacasee sowie einigen einblicken, die mir lieber erspart geblieben waeren, zum beispiel die bolivianischer toiletten, in denen spuelung und wasserhahn grundsaetzlich attrappen sind und man das klopapier (das selbstverstaendlich selbst mitgebracht werden muss) nicht ins klo schmeissen darf. manchen recht unkomplizierten eingeborenen geht dann der ganze kram mit gefaktem wasserhahn und so sowieso am arsch vorbei, und sie benutzen gleich die groesste offentliche toilette, den gehsteig.
ja, wenn man dann von so einem ort nach las condes kommt, braucht man schon eine weile, um sich zu assimilieren. ich glaubte ja, ich wuerde in einem haus mit ein paar studenten leben, in einer schoenen grossstadt namens santiago vielleicht. wenn man von meiner uni auf die anden klettern moechte, braucht man vielleicht eine stunde. ums eck wohne dann ich, und zwar in einer gegend mit palmengesaeumten strassen, haeusern mit mindestens zwei alarmanlagen (einer biologischen und einer elektronischen) und einem pool, versteht sich von selbst. so, nun wohne ich also im nobelviertel von santiago und besuche eine scheissteure universitaet (die aussieht wie ein freibad ) mit eigenem fitnesscenter und 1000 sicherheitsmenschen und putzkolonnen und was weiss ich. ich wohne also da in einem haus mit mindestens drei badezimmern und einem sehr kolonialen salon im exzimmer von johannes paul, der, wie señora lucia, meine gastgeberin, gesagt hat, abgehauen ist wie alle maenner, mit señora lucia und ihrer tocher (der entweder der mann abgehauen ist oder sie ihm, man weiss es ja nicht) und deren tochter. in der nacht, wenn sich die hunde beruhigt haben, ist es totenstill. der letzte bus nach las condes faehrt um 10. meine freundin geraldine meint, in las condes gaebe es ohnehin discotecas (ich hoffe, sie meint damit etwas anderes als ich), und sie behauptet, wenn man im zentrum fortgeht, klaut man einem die handtasche. ich hingegen habe den verdacht, dass die wirklich guten laeden im zentrum sind. jedenfalls weiss ich nicht, ob ich mein lebtag in las condes bleibe. mal schauen.
die universidad del desarrollo ist mindestens so haesslich wie der neubau der fh, aber der freibadcharme passt noch recht gut zu den kahlen, sandigen anden nebenan und der herbstlichen hitze. es gibt hier ungefaehr zehn computerraeume, auch jede menge imacs (mit cs2). an einem von diesen sitze ich jetzt, weil man johannes paul gestern von angeblich kompetenter stelle gesagt hat, dass man an ein ibook kein internet mit usb anschliessen kann, sondern nur mit firewire. hat man sowas schon gehoert?
señora lucia ist eine kleine weisshaarige frau, die ca. zwanzig sprachen spricht und der einzige erwachsene mensch ist, den ich kenne, der schuhgroesse 33 hat. ausserdem haelt sie mich fuer juenger, als ich bin, und nennt mich immer "meine kleine", obwohl ich mindestens zwei koepfe groesser bin als sie. sehr komisch an mir findet sie: ich fruehstucke nicht, ich trinke keine milch und ich schaue nicht fern (letzthin hat sie mir sogar unterstellt, dass ich ihren swimmingpool nicht mag). ich habe gesagt, ich lese lieber, zum beispiel die hundert jahre alten buecher, die mir johannes pauls grossvater hinterlassen hat, arthur rimbaud auf spanisch und barocke kubanische poeten und was weiss ich was noch fuer schaetze, ich hatte ja noch keine zeit, mir alles genau anzusehen! vom fernsehzimmer aus gibt es nachts einen grandiosen ausblick hinunter auf santiago, umrahmt von ein paar dunklen ungetuemen, das sind die anden, aber señora lucia behauptet, dass eines von diesen dingern der zuckerhut ist. ausserdem finde ich es sehr verdaechtig, dass sie davon ausgegeht, dass jemand, der pinochet nicht mag, automatisch ein sozialist ist, aber dazu moechte ich lieber nicht mehr wissen. eigentlich wollte ich johannes paul in der letzten metrostation escuela militar ( von der aus ich noch eine viertelstunde mit dem bus fahren muss, um in mein domizil in las condes zu kommen) treffen, aber als ich sah, dass die ziemlich gross war, wusste ich, dass wir uns heute nicht mehr begegnen wuerden, und machte mich nach einer halben stunde auf nach las condes, um mein haus zu suchen, wo ich schliesslich señora lucia begegnete, die mich auf deutsch mit den worten begruesste: du lebst?
als ich sie und alles sah, dachte ich sofort: hier kann man einen roman schreiben. ich war noch keine viertelstunde da, da schleppte sie mich sofort in einen supermarkt, um essen zu kaufen. ich nenne sie meine chilenische oma, sie hingegen nennt sich meine chilenische mama, man kann es halten, wie man will. immerhin hat sie mir erlaubt, dass ich "some handsome men" mitbringen darf, was ja auch nicht das schlechteste ist. die supermaerkte sind ziemlich krass. am eingang stehen sicherheitsmaenner, die einem die plastiktaschen zukleben, damit man nichts klaut. obst und gemuese wird von einer mitarbeiterin gewogen. die kassiere und kassierinnen sind so langsam, die wuerde man sogar im saegercenter auf der stelle feuern, aber hier gehts allgemein ein bisschen gemuetlicher zu. an der kasse steht ausserdem in der regel ein demotivierter mensch, aehnlich wie im meinl am graben, der einem den einkauf einpackt, und zwar allerhoechstens drei artikel pro plastiksack, in der regel aber zwei. am ende hat man dann einen haufen weisser saecke (in denen wiederum plastiksaecke mit sachen drin befinden) im einkaufswagen, das sieht aus, als haette man muell gekauft, was gar nicht mal so falsch ist. ich komme mit zwei aus, wo andere mindestens zehn benoetigen. umweltschutz kennen die nicht, und señora lucia hat gestern abend ihrer tochter sehr amuesiert erzaehlt, dass man in oesterreich nicht nur eine sorte muell kennt. du musst dich anpassen, hat sie zu mir gemeint, ja das wird sicher schwierig. chile ist eine dreckschleuder.
dass man einmal spurlos verschwindet, muss man hier auch nicht befuerchten. man wird stets registriert und aufgeschrieben. keine chance auf eine busfahrt, auch im inland, ohne pass. vor der fahrt und waehrend der fahrt muss man seine passnummer angeben, plus beruf und alter und beweggruenden und sonstigen daten. in peru ging einmal vor der abfahrt ein kerl mit einer kamera durch den bus und filmte alle insassen, zur sicherheit, wie er meinte, aber das ist eine andere geschichte. ohne pass muss man auch gar nicht versuchen, mit kreditkarte zu zahlen, und wenn man eine kundenkarte macht, braucht man auch seine passnummer. apropos kreditkarte: die t-shirts, die manche chilenischen maenner tragen, sind phaenomenal. mein derzeitiger favorit ist: wie geht es deiner frau und meinen kindern? dann gibt es noch: ich weiss, die kreditkarte war nur fuer notfaelle, aber sie war so heiss. und: pfeil nach oben, der mann, pfeil nach unten, die legende, gesehen in arica, getragen von einem midlifecrisisfaelligen herrn mit bierbauch und gattin an der rechten. und das sind noch die harmloseren!
meine kurse: aktzeichnen, packaging und fotografie. marketing werde ich wohl durch eine tlv an der fh ersetzen. dass ich aufsaetze auf spanisch schreibe, kann man von mir ja nicht verlangen. es ist nur etwas traurig, dass anscheinend nur maedchen (ausserdem sind wir fuenfzehn austauschstudentinnen und nur ein -student, und fast alle studieren literatur) grafikdesign studieren, aber dafuer sind sie alle sehr nett und hilfsbereit und offen und wollen alles wissen. die meistgestellte frage: why chile?
ja, langsam verstehe ich auch die chilenen, die ueberhaupt kein normales spanisch sprechen und grundsaetzlich dazu neigen, die schoenen konsonanten zu verschlucken. wie ich hier angekommen bin, habe ich mich gefuehlt, als wuerde ich gegen eine wand rennen, oder als koennte ich schreiben, aber nicht lesen. ich habe keine wort verstanden. jetzt geht es besser, auch wenn von ich von zeit zu zeit immer noch hilflos vor subjekten mit besonders scheusslicher aussprache stehe, aber das wird schon werden.

saludos de chile,
bianca

2 Kommentare:

markus hat gesagt…

sie lebt! und wie sie lebt!
bitte bitte tu der restlichen welt da draussen einen gefallen und lade noch etwas bildmaterial hoch, um die vorstellungskraft der menschen irgenwo anderswo zu unterstützen, das hört sich zum teil ziemlich absurd an: dein domizil, die gastgeberin, die freibaduni...
danke danke

Anonym hat gesagt…

Freibaduni klingt ja witzig :) Da will ich auch ein paar Fotos sehn. Schön übrigens, dass es di noch wo gibt. Wie immer auch ein sehr pointierter Blog, wie könnte es anders sein *g*

Na dann bring dem Markus doch so ein tolles T-shirt als Souvenir mit, ich glaub er freut sich drüber ;)

lg nach Chile
Sigrid